Die Kraft der Pitze nutzen
Im Tiroler Oberland entsteht ein Kleinwasserkraftwerk, das bald 4.500 Haushalte versorgen wird. Bei der Planung stand nicht nur Umweltschutz, sondern auch Regionalität im Mittelpunkt.
chon von Weitem sieht man den Baukran, der in Ritzenried im Pitztal hoch in den Himmel ragt. Und auch die Bagger, die von hier aus einen tiefen Graben entlang des Ufers der Pitze in Richtung Tal schaufeln, sind unübersehbar. „Das wird sich aber bald wieder ändern“, versichert Thomas Huber. Er ist Mitarbeiter der Stadtwerke Imst und Geschäftsführer des Projekts Kleinwasserkraftwerk Pitze, das hier errichtet wird. Noch hat die Rohrleitung, die von der Fassung bei Ritzenried aus ins 3,4 Kilometer entfernte Jerzens führt, Lücken. Doch jeden Tag liefern Lastwägen weitere Stahlrohre, acht Meter lang und mit einem Durchmesser von 1,4 Metern, die bald als Druckrohrleitung dienen werden. „Wir haben bei der Planung darauf geachtet, vorhandene Forstwege und Gemeindestraßen zu nutzen. 72 Prozent der Leitung liegen unter bestehenden Wegen“, meint der Experte. „Und natürlich wird der Verlauf nach Abschluss der Arbeiten frisch begrünt.“
Wenn der Zeitplan aufgeht, wird noch im März die Maschine im Krafthaus installiert und Mitte Mai der Probebetrieb beginnen. Dann, rechtzeitig zur Schmelzwasserzeit, werden bis zu 4.000 Liter Wasser pro Sekunde über die Druckrohrleitung zu den beiden 135 Meter tiefer gelegenen Turbinen fließen und sie antreiben. Die Energie, die das Kleinwasserkraftwerk dann liefert, kann sich sehen lassen: „Wir erzeugen bis zu 4,0 Megawatt. Über das Jahr werden wir so 17 Gigawattstunden ins Netz einspeisen“, erzählt Huber. „Das entspricht dem Verbrauch von gut 4.500 Haushalten.“
Kleiner Anfang.
Ideengeber für das rund 15 Millionen Euro teure Projekt ist der Jerzener Gerd Wechselberger. Er hatte 2007 den Einfall, den Brunnen hinter seinem Haus zur Energiegewinnung zu nutzen. Mit einer Lichtmaschine wollte er rund 40 Watt produzieren. Ein Vorhaben, das Huber nachvollziehen kann: „Tirol hat wegen seiner Topografie, was Siedlungsgebiete betrifft, zwar viele Nachteile, zugleich bietet sich aber ein sehr hohes energetisches Potenzial. Das nicht zu nutzen wäre ein großer Fehler, vor allem wenn man bedenkt, dass Wasserkraft eine der wenigen Möglichkeiten ist, Energie ohne ein Abfallprodukt – und damit ‚sauber‘ – zu produzieren.“
Für Wechselberger war die simple Idee allerdings nur der Einstieg. Als sich zeigte, dass das vorhandene Wasservolumen zur Stromerzeugung nicht reichen würde, begann er sich für die Pitze zu interessieren. Mit der Unterstützung des Unternehmers Horst Androschin gelang es ihm schließlich, alle nötigen Bewilligungen für einen Bau einzuholen. Zudem zeigten sowohl die Gemeinde Jerzens als auch die Stadtwerke Imst Interesse an dem Kraftwerk. Die neuen Teilhaber ermöglichten es dem Projekt, noch einmal zu wachsen, und auch die Leistung wurde weiter nach oben geschraubt.
„Das höchstmögliche Maß an Umweltverträglichkeit zu erreichen, war bei der Planung von Anfang an ein wichtiger Faktor.“
Thomas Huber, Geschäftsführer des Kleinwasserkraftwerks Pitze
Verantwortungsbewusste Planung.
Nicht zuletzt dadurch wuchsen auch die Herausforderungen: „Das höchstmögliche Maß an Umweltverträglichkeit zu erreichen, war bei der Planung von Anfang an ein wichtiger Faktor“, meint Huber. „Das schreibt nicht nur der Gesetzgeber vor, das ist auch im Sinn der Region.“ Mit einer zusätzlichen Pegelmessstelle noch vor der Fassung wird der Wasserstand der Pitze permanent überwacht. So kann garantiert werden, dass immer nur maximal die Hälfte des Wassers durch das Kraftwerk fließt und der Rest im Flussbett verbleibt. Und dank einer Aufstiegshilfe wird die Anlage auch zu keinem Hindernis für das Wanderverhalten von Fischen und anderer Wasserorganismen.
Neben der Schonung der Umwelt standen auch die Auswirkungen auf die Anwohner bei der Planung im Vordergrund. Deswegen wurde das Krafthaus in einen Hang integriert, um so möglichst geringen Einfluss auf die Landschaft zu nehmen. Zudem wurden die Rohrverlegungsarbeiten in Ritzenried für den Spätherbst geplant, um touristische Nachteile zu vermeiden. „Natürlich ist der Bau dennoch eine Belastung“, sagt Huber. „Gerade deshalb sind wir sehr dankbar für die Unterstützung aus der Bevölkerung, ohne die dieses Projekt niemals möglich gewesen wäre.“
Regionales Projekt.
Und gerade deshalb ist Huber besonders stolz darauf, dass das Projekt vollständig von lokalen Investoren finanziert wird. Gerd Wechselberger hat einen Geschäftsanteil von 16 Prozent, die Androschin Privatstiftung ist mit 36 Prozent beteiligt und die Gemeinde Jerzens und die Stadtwerke Imst zu jeweils 24 Prozent. „Aber nicht nur das Projekt an sich ist in regionaler Hand. Auch beim Bau haben wir darauf geachtet, so viel wie möglich über lokale Firmen zu realisieren“, erzählt der Geschäftsführer. „Die Baufirmen selbst sind aus Tirol, die Turbinen und die Elektronik kommen aus Hall, der Stahlwasserbau aus Niederösterreich und bei den Rohren haben wir uns für einen französischen Anbieter entschieden, da er der nächstgelegene war.“ So bietet das Projekt nicht nur im Betrieb, sondern auch in seiner Entstehung hohe Wertschöpfung für die Region.