Lehrlinge stehen hoch im Kurs
Fachkräftemangel und der steigende Bedarf an versierten, praxisorientierten Mitarbeitern machen Lehr-Absolventen gefragter denn je. Für Unternehmen wird es daher immer wichtiger, attraktive Angebote zu schaffen, um genau die Lehrlinge anzusprechen, die am besten zu ihnen passen.
ährend in der Berufswelt zunehmend Spezialisten benötigt werden, die nicht nur Wissen, sondern auch praktische Erfahrung mitbringen, gibt es am Bildungssektor schon länger einen gegenläufigen Trend: „Wir haben wesentlich weniger Pflichtschulabsolventen als noch vor zehn Jahren“, meint Helmut Wittmer von der Bildungsabteilung der Wirtschaftskammer Tirol. „Viele erhoffen sich bessere berufliche Chancen mit einer weiterführenden schulischen Ausbildung – dabei übersehen sie das Potenzial, das eine Lehre bringt.“
Gegenseitiger Vorteil.
Lehrlinge profitieren schon während der dualen Ausbildung von der Unabhängigkeit eines eigenen Einkommens. Zugleich eignen sie sich nicht nur praxisbezogenes Wissen, sondern auch soziale Kompetenzen an und sind mit ihrem Abschluss am neuesten Stand der Technik. Damit sind sie auch eine wichtige Ergänzung für Betriebe. Sie bringen oft neue Perspektiven mit und sorgen für einen natürlichen Verjüngungsprozess in Unternehmen – zum Teil durch neue berufsspezifische Qualifikationen, aber auch durch andere wertvolle Fähigkeiten in Bereichen wie IT oder im Umgang mit sozialen Medien. All das macht sie zu begehrten Mitarbeitern. „Praktiker stehen hoch im Kurs“, meint Wittmer. „Und derzeit sind motivierte Lehrlinge und engagierte Fachkräfte in vielen Branchen schwer zu bekommen.
Das gibt Lehrlingen hervorragende Perspektiven – sowohl heute als auch in den kommenden Jahren.“
Präsentation zählt.
Dementsprechend sind die Zeiten, in denen sich Unternehmen aus einer Vielzahl von Bewerbungen die besten Kandidaten aussuchen konnten, lange vorbei. Stattdessen gilt es, aktiv Attraktivität zu beweisen – idealerweise, indem man Kompetenz als Lehrbetrieb zeigt. „Eine gut fundierte und strukturierte Ausbildung spricht sich herum“, sagt Wittmer. „Um angehenden Lehrlingen bei der Auswahl zu helfen, unterstützen das Land Tirol, Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer engagierte Betriebe durch das Prädikat ‚Ausgezeichneter Tiroler Lehrbetrieb‘.“ Zusätzlich empfiehlt Wittmer Unternehmen das Portal www.berufsreise.at.
Die Plattform bietet viele Möglichkeiten, sich unter anderem durch Betriebsbesichtigungen oder Vorträge an Schulen zu präsentieren.
Und nicht nur die Anforderungen an Lehrbetriebe sind gestiegen. Auch die duale Ausbildung selbst ist in den vergangenen 20 Jahren sehr facettenreich geworden. Mittlerweile haben Lehrbetriebe die Möglichkeit, Lehrlinge mit höherem Potenzial zu fördern oder Auszubildenden mit Defiziten entgegenzukommen. So bietet das Modell Lehre mit Matura, das in Tirol aktuell 950 Jugendliche nutzen, zusätzlich zur Lehrausbildung den Abschluss einer vollwertigen Matura.
Absolventen stehen alle beruflichen Wege offen, was diese Option besonders interessant für alle macht, die eine zusätzliche Qualifikation anstreben. Im Gegensatz dazu können Betriebe, die Wert auf sozialen Fokus legen, Lehrlinge mit verlängerter Lehrzeit ausbilden und eine optimale Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen – eine Form, die momentan 560 junge Tiroler wahrnehmen. Unternehmen, die sich dieser Herausforderung stellen, erhalten dabei sowohl finanzielle Unterstützung als auch eine Begleitung durch eine Berufsausbildungsassistenz.
Thöni-Akademie.
Eine zusätzliche Sonderform, die Matura mit Lehre, wird vom Bundesoberstufenrealgymnasium Telfs gemeinsam mit der Thöni-Gruppe angeboten. Das fünfjährige technische Gymnasium kombiniert eine normale AHS-Matura mit einem Lehrabschluss in Mechatronik oder Maschinenmechanik. In den ersten vier Ausbildungsjahren werden dabei die regulären AHS-Fächer mit dem Lehrstoff aus dem jeweiligen Lehrberuf und Berufspraxis kombiniert. Zusätzlich sind im Lehrplan in den Sommerferien der siebten und achten Klasse jeweils vierwöchige Berufspraktika vorgesehen. Absolventen der Thöni-Akademie schließen ihre Lehre nach dem vierten Schuljahr ab. Im fünften Jahr können sie sich so ausschließlich auf die Reifeprüfung konzentrieren.
„Praktiker stehen hoch im Kurs. Und derzeit sind motivierte Lehrlinge und engagierte Fachkräfte in vielen Branchen schwer zu bekommen. Das gibt Lehrlingen hervorragende Perspektiven – sowohl heute als auch in den kommenden Jahren.“
Helmut Wittmer, Bildungsabteilung Wirtschaftskammer Tirol
Hochqualifiziert.
Sowohl für das Modell Lehre und Matura als auch für solche Sonderformen gilt: „Eine Kombination aus der soliden theoretischen Ausbildung mit Matura und einer Lehre bietet hervorragende Chancen am Arbeitsmarkt. Das entdecken mittlerweile auch immer mehr AHS-Absolventen für sich“, sagt Wittmer. Aktuell absolvieren in Tirol 380 Maturanten nach dem Abschluss ihrer schulischen Ausbildung zusätzlich eine Lehre. Dabei kommt ihnen ihre gute Basis in den Unterrichtsfächern Deutsch, Mathematik und in Fremdsprachen zugute. Dieses Fundament wird den Lehrlingen zum einen in Form einer Lehrzeitverkürzung angerechnet. „Zum anderen ist dieser Vorsprung im modernen Berufsleben Gold wert“, meint Wittmer. „In vielen Berufsfeldern ist zum Beispiel Mehrsprachigkeit heute nahezu unerlässlich.“
Modell für die Zukunft.
Mit diesen breit gefächerten Angeboten sind nicht nur Lehrlinge hierzulande gut aufgestellt. Duale Wege in der Ausbildung kommen auch Tirol als Wirtschaftsstandort zugute, indem sie Unternehmen dabei helfen, die passenden Lehrlinge – und damit die idealen Mitarbeiter von morgen – anzusprechen und im eigenen Betrieb auszubilden. Das hilft den Firmen, am neuesten Stand zu bleiben und ihre Innovationskraft aufrechtzuerhalten. Und auch auf gesellschaftlicher Ebene hat die duale Ausbildung enormen Stellenwert, ist Wittmer überzeugt: „Diese frühe und ‚gleitende‘ Integration in den Arbeitsmarkt ist der Hauptgrund für die weltweit vorbildliche Jugendbeschäftigungssituation in Österreich. Und dieses Prinzip gilt es weiter zu fördern.“
Lehrbetrieb Raiffeisen
Auch die Tiroler Raiffeisenbanken bieten Lehrausbildungen zur Bankkauffrau bzw. zum Bankkaufmann mit und ohne Matura an. Außerdem erhalten Lehrlinge die Option, eine Zusatzausbildung zur Versicherungskauffrau/zum Versicherungskaufmann abzuschließen. Seit 2009 haben 96 Lehrlinge ihre Ausbildung in den Tiroler Raiffeisenbanken abgeschlossen. Aktuell absolvieren 35 weitere ihre Lehre, 22 davon sind weiblich.
Trotz der angespannten Situation im Finanzbereich besetzen die Raiffeisenbanken in Tirol jährlich zwischen zehn und 15 neue Lehrstellen nach. Raiffeisen übernimmt für Lehrlinge nicht nur die Ausbildungskosten für Berufsschule und Internat sowie Bustickets zur Berufsschule oder zum Arbeitsplatz, sondern bietet auch weitere interessante Sozialleistungen.