Seefelder Tourismusgespräche 2020

Neue Wege, neue Chancen

Den Seefelder Tourismusgesprächen kam im Pandemiejahr 2020 eine besondere Bedeutung zu. Was die Branche aus diesem Jahr mitnahm, was es noch zu lernen gilt und wie es um die Wintersaison steht, erklären Michaela Reitterer und Gerhard Walter.

Fotos: Aria SADR-SALEK, Privat
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ls die Seefelder Tourismusgespräche im September stattfanden, hatte man gerade eine überraschend positive Sommersaison hinter sich und einen guten Ausblick auf den Herbst. Dass in diesem Jahr alles anders ist, zeigte auch das Format, das großteils online abgehalten wurde und nur 50 Teilnehmende vor Ort umfasste. Einer von ihnen war Gerhard Walter, ehemals CEO der Engadin St. Moritz Tourismus AG und Branchenkenner: „Ich bin diesen Formaten gegenüber eher kritisch eingestellt, muss aber sagen: Ich war sehr positiv überrascht vom Event, den Referenten und ihren Beiträgen.“ 

Stunde null 

Mittlerweile sieht die Lage bekanntermaßen ganz anders aus: Reisewarnungen für Österreich, die Corona-Ampel leuchtete österreichweit tiefrot und schließlich ein Lockdown, der im November die Türen aller Freizeit- und Tourismusbetriebe schloss. Es ist genau das eingetreten, wovor man im Spätsommer Angst hatte. Auch Micheala Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) und Inhaberin des nachhaltigen Boutiquehotels Stadthalle, sprach dieses Szenario in ihrem Vortrag an. 

 

Ob der Lockdown die Wintersaison retten und man ähnliche Entwicklungen wie im Frühling und Sommer erwarten kann? „Dazu müssen die Zahlen ordentlich nach unten gehen, um den Jänner und Feber offen halten zu können“, erklärt Reitterer. Für die Branche beginnt ab Weihnachten die wichtige Zeit. Deshalb will man verhindern, nur wenige Wochen nach der Öffnung noch einmal schließen zu müssen. „Ein dritter Lockdown zu Jahresbeginn muss verhindert werden“, mahnt die Expertin. 

An einem Strang 

„Es braucht Planungssicherheit“, sagt die ÖHV-Präsidentin – und auch Gerhard Walter fordert diese ein. Eine ähnliche Vorgehensweise wie im Herbst müsse vermieden werden. Reitterer ruft zu einheitlichen Maßnahmen und Regeln nicht nur innerhalb Österreichs auf, sondern fordert europäischen Zusammenhalt. Gerade im Winter müssten die alpinen Winterdestinationen Europas an einem Strang ziehen: „Es darf für den Gast keinen Unterschied machen, wohin er fährt, weil er überall dieselben Sicherheitsstandards erwarten kann.“ Dieser Meinung ist auch Tourismusexperte Walter: „Das Virus kennt
keine Grenzen.“ 

„Ein dritter Lockdown zu Jahresbeginn muss verhindert werden.“

Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung

Zur Person

Michaela Reitterer ist Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung. Sie führt das nachhaltige Boutiquehotel Stadthalle in Wien und gilt mit dem vielfach prämierten Haus als Pionierin für ökologische Hotellerie.  

Sicherheit hoch zwei 

Das Gebot der Stunde für den Tourismus lautet: „Sicherheit ist die neue Währung im Wettbewerb um den internationalen Gast“, formuliert Reitterer. Und da gelte es, einheitliche Regeln aufzustellen und diese konsequent einzufordern und zu kontrollieren – etwa das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei Skiliften. 

 

Auch Branchenkenner Gerhard Walter schließt sich der Forderung an, Sicherheit als höchste Priorität zu gewährleisten. Darüber hinaus rät er dem alpinen Tourismus, sich ernsthaft und früh genug mit alternativen Konzepten zu beschäftigen. Man müsse sich überlegen, wie man organisatorisch, örtlich oder zeitlich Menschenansammlungen verhindern kann – etwa durch Zeitslots in Skigebieten. Walter sieht derzeit diesbezüglich zu wenig Diskussionskultur in der Öffentlichkeit: „Es braucht eine transparente, öffentliche und nachvollziehbare Diskussion – sonst fehlt die öffentliche Akzeptanz.“ 

Grenzenlos denken 

Einigkeit herrscht auch, wenn es darum geht, was die Branche in der Krise tun kann und soll: kreativ sein. Für Gerhard Walter ist Kreativität eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Unternehmer. Zum Unternehmertum gehöre, auch in der Krise Lösungen zu finden. 

 

Auch für Hotelière Michaela Reitterer ist klar, dass jetzt die Zeit ist, sich neu zu erfinden. Sie ruft auf, das Konzept Hotel neu zu denken, und geht mit gutem Beispiel voran: Mit ihrem Konzertformat „Loge und Logis“, bei dem ihre Hotelzimmer zu exklusiven Logen für Innenhofkonzerte wurden, hat sie Besucher/innen und Kulturszene gleichermaßen überzeugt. Hotels können auch den Einheimischen im eigenen Grätzel viel bieten: Ob als „Hotel Mama“ für Studierende in stressiger Lernzeit oder das Hotel als Homeoffice-Alternative. „Wir müssen uns der Situation stellen und das Beste daraus machen“, ist Michaela Reitterer überzeugt. 

 

Dass ähnliche Konzepte auch im alpinen Raum funktionieren können, ist für Gerhard Walter klar: „Kreativität und Innovation sind das Gebot der Stunde“, so der Touristiker. 

„Jeder Unternehmer und jede Organisation muss sich spätestens jetzt mit Krisenszenarien und Perspektivenwechsel beschäftigen.“

Gerhard Walter, Tourismusexperte

Zur Person

Gerhard Walter leitete als Direktor die Tourismusverbände in Galtür, Lech am Arlberg und Kitzbühel sowie als CEO die Engadin St. Moritz Tourismus AG. 

Perspektivenwechsel

Lange galt der Tourismus als krisenfester Sektor. Selbst globale Ereignisse wie die im Jahr 2007 ausgebrochene Finanzkrise hatten kaum Einfluss auf den Erfolg des Tiroler Tourismus. Covid-19 hat die Branche 2020 wachgerüttelt und gezeigt, wie anfällig der Tourismus im Alpenraum sein kann. Walter plädiert: „Jeder Unternehmer und jede Organisation muss sich spätestens jetzt mit Krisenszenarien und Perspektivenwechsel beschäftigen.“  

 

Dass die Tourismusbranche aus dem heurigen Jahr viel mitnehmen kann, liegt für ÖHV-Präsidentin Reitterer auf der Hand: „Veränderung ist das einzig Konstante im Leben – das hat man noch nie so stark gespürt wie heuer.“ 

Wünsch dir was 

Wie es für den Tourismus weitergeht? Prognosen sind in einer so wandelbaren Zeit nur schwer zu machen, in die Zukunft blickt man vorsichtig. Gerhard Walter erhofft sich – wie viele andere – im nächsten Jahr eine medizinische Lösung, die eine, wenn auch langsame, Rückkehr zu einer neuen Normalität vorantreibt. Auf Michaela Reitterers Wunschzettel dagegen stehen erst mal Schnee und Sonnenschein. Damit wäre der krisengebeutelten Branche schon viel geholfen. Ans Aufgeben denkt die ÖHV-Präsidentin nicht: „Ich bin ein unerschütterlich positiver Mensch und glaube, wir werden einen guten Winter haben – aufgeben tun wir nur Briefe.“ 

 

Katharina Wildauer