Das Comeback der Region

In Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche scheint der (digitale) Einkaufskorb regionaler zu werden.

Fotos: Franz Oss (2), Raiffeisen/Claudia Giner / Text: Katharina Wildauer
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as Interesse für heimische Betriebe und regionale Erzeugnisse flammte in den letzten Wochen und Monaten verstärkt auf. Mit ihrem Einkauf in der Region wollten viele Menschen bewusst lokale Betriebe unterstützen. Ein Bereich, in dem das Bewusstsein für regionalen Einkauf schon in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist, ist die Lebensmittelbranche. „Die Bereitschaft der Konsumenten, biologische, nachhaltige und lokale Produkte zu kaufen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen“, weiß Heinz Gstir, Landwirt und Obmann der Genossenschaft Bioalpin. Unter deren Label „BIO vom BERG“ werden seit mehr als 15 Jahren Bioprodukte von Tiroler Bauern vertrieben.

 

Zwiespalt

Ob das Bewusstsein der Konsumenten dafür angesichts der Ereignisse der letzten Zeit weiter zugenommen hat, lasse sich nicht eindeutig sagen, meint Gstir. Gerade junge Menschen und Familien würden Wert auf Nachhaltigkeit im Einkaufskorb legen. Bei vielen sei aber nach wie vor der Preis ausschlaggebend. Dass die Preisführung der Tiroler Bauern eine andere ist als jene industrieller Großbetriebe im Ausland, ist klar. Neben der Qualität sieht Gstir aber noch einen anderen Vorteil der regionalen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion: Resilienz. Die EU ist zwar der weltweit größte Lebensmittelproduzent, aber auch der größte Futtermittelimporteur. Das ist riskant, warnt Heinz Gstir. Eine kleinstrukturierte Landwirtschaft dagegen kann eigenständiger und flexibler agieren und auch unabhängig von importierten Futtermitteln produzieren. „Wir sind nicht immer effizienter und billiger als die Konkurrenz, aber wir sind widerstandsfähiger“, so der Bioalpin-Obmann. Und genau diese Art der Landwirtschaft sei die vernünftige Entscheidung.

Landwirt und Bio-Pionier Heinz Gstir hofft auf mehr Bewusstsein für regionale Produkte.

„Wir produzieren aus der Region für die Region.“

Heinz Gstir, Landwirt und Obmann der Genossenschaft Bioalpin

 

Zukunft

Ob sich der Gedanke der Regionalität langfristig in der Bevölkerung etabliert? Heinz Gstir hofft und glaubt es. Er wünscht sich ein Umdenken in Bezug auf die Globalisierung. Gerade in herausfordernden, sich stetig ändernden Zeiten können lokal ansässige, kleinstrukturierte Betriebe flexibler und schneller auf Veränderungen reagieren. Wie auch bei der Produktion von Arzneimitteln und Schutzausrüstung werde auch in der Lebensmittelversorgung langsam ein Bewusstsein für mehr Regionalität stattfinden, so der Landwirt.

 

Damit einhergehend muss auch die Bereitschaft wachsen, für ebendiese heimischen Produkte manchmal etwas mehr zu bezahlen. „Wir produzieren aus der Region für die Region. Das bekommt im neuen Denken eine andere Gewichtung“, ist Gstir überzeugt. Damit diese Botschaft langfristig bei den Menschen verankert wird, brauche es jetzt eine entsprechende gesellschaftspolitische Bewusstseinsbildung.

Regionale Initiativen

Nicht nur im Supermarkt, sondern auch in anderen Bereichen des Handels entscheiden sich Konsumenten verstärkt für heimische Unternehmen. Es gibt Plattformen und Initiativen,
die regionale Betriebe, deren Erzeugnisse und Services unterstützen.

Wir kaufen in Tirol
Die Plattform der Wirtschaftskammer Tirol listet Produkte aus unterschiedlichsten Branchen und allen Bezirken auf, die online bestellt und geliefert werden können. www.wirkaufenin.tirol

 

Ganznah.tirol
Auch die GemNova, das Unternehmen der Tiroler Gemeinden, lancierte ein Portal für Tiroler Händlerinnen und Händler und deren Erzeugnisse und Dienstleistungen. www.ganznah.tirol

Kaufe vor Ort – Angebote in Innsbruck
Auf Facebook entstand diese Seite, die Geschäfte und Gastronomie
aus dem Stadtgebiet bündelt. www.facebook.com/kaufevorortinnsbruck

 

Um’s Eck in Tirol
Die Innsbrucker Digital-Agentur MAWEO entwickelte einen Chatbot
für Facebook Messenger, der auf Anfrage gezielt und gebündelt nach Themen Anbieter aus der Region und die entsprechenden Kontaktmöglichkeiten auflistet. Auf Wunsch können auch Updates und Tiroler Musikplaylists abonniert werden. www.facebook.com/umsecktirol

Schnapsbrenner Sigi Kistl mit Andreas Breitenlechner, Geschäftsleiter Raiffeisenbank Wildschönau.

Desinfektionsmittel vom
heimischen Schnapsbrenner

 

Selbst bei den nunmehr obligaten Virenvernichtern ist die regionale Herkunft mittlerweile ein wichtiges Kaufkriterium.

 

Sigi Kistl aus Oberau in der Wildschönau war nicht der erste und ist auch nicht der einzige Schnapsbrenner im Land, der nun Desinfektionsmittel herstellt. Trotzdem ist seine Geschichte eine besondere. Der passionierte Edelbrandhersteller, der seine Schnäpse und seinen unter Gin-Liebhabern hochgeschätzten „SiGin“ unter dem Hausnamen „Zwecklhof“ vertreibt, hat nämlich früh erkannt, dass die Menschen auch bei Desinfektionsmitteln zusehends auf eine vertrauenswürdige regionale Herkunft Wert legen. „Die Leute wollen gerade bei diesem Produkt absolut sicher sein, dass die Qualität passt“, erzählt Kistl. Hinzu kommt, dass die immense Nachfrage gerade zu Beginn der Krise die Preise am Markt teilweise über Gebühr
in die Höhe schnellen ließ. Auch das habe Sigi Kistl letztlich bewogen, selbst in die Produktion von Desinfektionsmitteln einzusteigen. „Mir ist es wichtig, den Menschen in unserer Region Qualität zu
fairen Preisen zu bieten“, betont er.

 

Auch wenn sein Herz an der Edelbrandherstellung hänge, durch die Produktion von Desinfektionsmitteln könne er die rückläufigen Umsätze bei den Edelbränden nun ein klein wenig abfedern. Denn Sigi
Kistls wichtigste Umsatzbringer sind die Wildschönau-Touristen, für die er auf seinem malerischen Berghof regelmäßig Schnapsverkostungen mit Jause anbietet. Durch die Desinfektionsmittel bleibe er als Unternehmer in der Region präsent, sagt Kistl. „Irgendwann wird das Geschäft mit den Bränden wieder anziehen, dann erinnern sich die Leute an uns.“


Text: Claudia Giner, Christine Frei