Krise als Chance: Der Unternehmer

Nächsten Sommer rollen wir wieder

Bis Mitte März ist es bei ihm fast wie von selbst gelaufen. Seither ist Jörg Philipp, der Rock ’n’ Roller der Tiroler Adlerrunde, mit seinem Erfolgsunternehmen Beat The Street im erzwungenen Stillstand – und hält trotzdem eisern die Stellung.

Fotos: Aria Sadr-Salek
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ast spooky seien sie gewesen, die letzten Jahre, wo jedes noch besser lief als das vorhergehende. Alle Krisen hätten sie überstanden, erzählt uns Jörg Philipp Ende Oktober, 9/11, die Schweinegrippe, den Terroranschlag im Bataclan vor fünf Jahren, wo anschließend viele Touren kurzfristig abgesagt wurden. Dann kam der März 2020, als wir uns das erste Mal zum Interview treffen, das Virus täglich näher rückt. Und sich noch keiner wirklich vorstellen konnte und wollte, dass vierzehn Tage später sein Unternehmen und mit ihm die gesamte Veranstalterszene für mehr als ein Jahr ruhiggestellt werden würde. Zunächst war sich Jörg Philipp noch sicher, dass sie spätestens im Sommer wieder rollen würden, die über 100 edelschwarz lackierten Tour-Doppeldeckerbusse, die in Europa und seit diesem Jahr auch in den Staaten die Topstars der internationalen Musikbranche und deren Crews von einem Veranstaltungsort zum nächsten chauffieren. Meist overnight, denn die Tourpläne sind eng getaktet.

Die Entdeckung einer Nische

Vor knapp drei Jahrzehnten hat Jörg Philipp dieses Geschäftsfeld als Nische für sich entdeckt. Damals sollte er als Tourneeleiter für „Kool & the Gang“ zwei Busse für deren Italientour organisieren, was sich als fast aussichtsloses Unterfangen entpuppte. Die zwei einzigen verfügbaren Vehikel musste er daraufhin zu Mörderkosten aus England holen, erinnert er sich. Da sei ihm klar geworden, dass es hier eine Angebotslücke gab. Der Weg hinauf zum Olymp der Musikbranche war zu Beginn freilich ein ziemlich holpriger, der Philipp einiges an Durchhaltevermögen abverlangte. Nachdem er in seinen Jugendjahren als Konzertveranstalter gescheitert war, und es auch mit einer eigenen Karriere als Rockmusiker nicht so recht klappen wollte, wie er erst unlängst im Radio Check-Pod-cast in lässigem Englisch plauderte, sah es mit Bankkrediten zunächst eher mau aus. So konnte er für sein neues Vorhaben immer nur jenes Geld einsetzen, das er gerade cash verdient hatte. Sein erstes Tourgefährt war daher ein ausgemusterter Postbus, den er um 10.000 Schilling erstand und dann in mehreren Tranchen entsprechend ausbauen ließ.

No Beat on the Street. Im Moment steht ein Teil der Luxus-Doppeldecker-Flotte am firmeneigenen Parkplatz in Fritzens.

Will der Beste sein und bleiben

Doch Philipp erkannte schnell, dass er die Innengestaltung der Busse nicht auslagern durfte, sondern zur Kernkompetenz seines Unternehmens machen musste. Das bis auf den letzten Zentimeter optimierte Interieur seiner Luxus-Doppeldecker ist eine tragende Säule seines Unternehmenserfolges, deshalb gehen seine Tischler auch regelmäßig als Zweit- und Drittfahrer mit auf Tour, sprich auf leibhaftige Customer Journey, wie Marketer heutzutage sagen würden. Sie sammeln also die sogenannten Customer Pain Points direkt im Bus, um dann im nächsten Winter weiterzutüfteln. Jörg Philipp musste hierfür kein Lehrbuch studieren, auch wenn er nach der Matura für einige Semester an der SoWi inskribiert war. Seine Street Credibility hat sich der vermutlich einzige Berufs-Rock ’n’ Roller der Tiroler Adlerrunde mit leidenschaftlicher Akribie erarbeitet. Sein Sinn für detailgenaue Gestaltung ist auch in seinem topgepflegten Firmengebäude in Fritzens bis in den letzten Winkel hinein spürbar. Selbst in der Werkhalle, wo seine Leute seit Oktober wieder eifrig am Bus-Ausbauen sind, herrscht eine geradezu penible Ordnung. Am Parkplatz dasselbe Bild: Alle Busse sind fein säuberlich in einer Reihe aufgefädelt. „Ich will unter den Besten bleiben“, bekennt Jörg Philipp, „deshalb bin ich in diesen Dingen streng.“ Ob er sich in diesen letzten Monaten mal überlegt hätte, sein Geschäftsmodell zu ändern? „Du meinst, so was wie ‚Travelling like a Rockstar‘? Mal eben schnell Poltergruppen nach Prag fahren? Nein, unser Job ist es, Rockstars zu chauffieren.“

Dispo ist Chefsache

Denn das ist natürlich der ureigentliche USP des Unternehmens: Philipps untrügerische Menschenkenntnis, wenn es darum geht, die richtigen Fahrerteams für seine ebenso exquisite wie extravagante Kundschaft zusammenzustellen. Ob nun AC/DC, The Rolling Stones, U2, Foo Fighters, Justin Timberlake, Pink, Beyoncé oder Pop-Wunderkind Billie Eilish – Jörg Phillips Kundenliste ist zweifelsohne die glamouröseste und prominenteste landauf, landab. Selbst Michelle Obama hat ihm für ihre „Becoming“-Promotiontour ein handgeschriebenes Dankeschön geschickt. Jörg Philipps Besprechungszimmer ist ebenso wie die Wand im Eingangsbereich gespickt mit Geschenks- und Erinnerungsstücken von den aufregendsten Showacts der letzten Jahrzehnte. Aber bevor er sich überhaupt zu einem Interviewtermin bereit erklärt, stellt er eines gleich mal klar: Stargeschichten sind tabu. Diskretion ist die wichtigste Währung in diesem Job. Das gilt insbesondere für seine Fahrer, die er sich besonders gut anschaut, bevor er sie auf Tour schickt. Die Dispo ist nach wie vor Chefsache, davon zeugt auch der riesige Screen auf seinem Schreibtisch, der freilich bis weit ins nächste Jahr nicht mehr seinen ursprünglichen Zweck erfüllen wird. Denn „rollen“ – wie es im Beat The Street-Sprech heißt – werden die Setra- und Van Hool-Busse wohl erst wieder nächsten Sommer. „Ja, bis dahin werden wir durchhalten. Wir hatten supergute Jahre, und wir haben immer vernünftig gewirtschaftet“, fügt er nahtlos hinzu, als ob er unsere nächste Frage ahnen würde. 

 

Er weiß, wo seine Stärken liegen, und bezeichnet sich selbst als unerschütterlichen Optimisten: Jörg Philipp, Inhaber von Beat The Street.

Der Chef rollt wieder

Für das Zahlenwerk, das nie so seine Sache war und wofür er in seinen Jugendjahren auch ordentlich Lehrgeld bezahlte, hat er seit vielen Jahren Prokuristin Susanne Fabris als rechte Hand. Ein perfektes Teamwork: So kann sich Jörg Philipp ganz auf seine Stärken konzentrieren. Auch wenn der plötzliche Stillstand im Frühjahr zunächst ein Schock war, als Unternehmer müsse er Optimist sein und bleiben. Schließlich trage er nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für seine 260 Mitarbeiter/innen und deren Familien. Tatenlos hat er die letzten Monate natürlich nicht verstreichen lassen. Auf seinem weitläufigen Betriebsgelände entsteht neben dem jetzigen Firmensitz derzeit ein – ebenfalls von DIN A4 geplanter – 5.000 m2 großer Holzbau-Zwilling. Das Unternehmen benötigt dringend Platz für eine weitere Bushalle, Lager und Wäscherei. Den Großteil des Bürokomplexes wird man allerdings weitervermieten. Und im neuen Gebäudekomplex wird Beat The Street dann auch maßgeschneiderte Fahrzeugausbauten für Private oder Firmen anbieten. Als wir uns nach der Haustour verabschieden, rückt Jörg Philipp doch noch eine Rock-’n’-Roll-Story raus. Während des Lockdowns habe er sich wieder die Fahrberechtigung für seine Luxusbusse geholt und im Spätsommer dann Sting von seinem Landhaus in der Toskana zu einem Gig nach Monaco chauffiert. Wir fragen gar nicht erst weiter. Der Chef rollt jetzt also wieder höchstpersönlich. Mehr an Commitment kann es wohl kaum geben. 

 

Christine Frei